Aristoteles sah in der Glatze des Mannes noch ein Zeichen der männlichen Potenz. Cäsar zweifelte bereits an dieser Theorie, begnügte sich jedoch mit dem einfachen Lorbeerkranz, um seinen schütteren Haarwuchs zu verbergen. Das Alte Testament dagegen warnte zwar im 2. Buch der Könige davor, sich über Glatzköpfige lustig zu machen: »Von dort ging er nach Beth-El. Während er den Weg hinaufstieg, kamen junge Burschen aus der Stadt und verspotteten ihn: Sie riefen ihm zu: Kahlkopf, komm herauf! Kahlkopf, komm herauf! Er wandte sich um, sah sie an und verfluchte sie im Namen des Herrn. Da kamen zwei Bären aus dem Wald und zerrissen zweiundvierzig junge Leute.« Das Alte Testament sah aber in der Glatzköpfigkeit ebenso eine Strafe Gottes - »Dann habt ihr Moder statt Balsam, Strick statt Gürtel, Glatze statt kunstvolle Locken, Trauergewand statt Festkleid, ja, Schande statt Schönheit.« (Jesaja 3,24).
In der christlichen Ikonographie sind es dementsprechend nur wenige Heilige, die mit schütterem Haarwuchs dargestellt werden. Der prominenteste von ihnen ist ohne Zweifel der heilige Petrus. Die Herkunft seiner Glatze ist Stoff zahlreicher europäischer Volkserzählungen. So erklärt eine satirische Erzählung aus dem Allgäu sie mit dem Versuch des Petrus, vor Jesus einen Pfannkuchen unter seiner Mütze zu verstecken. Der hatte ihm die Annahme des Geschenks untersagt. Als Strafe für seinen Ungehorsam verlor Petrus alle Haare an jener Stelle, die vom Pfannkuchen bedeckt worden war. Nur die Locke an der Stirn, die unter der Mütze hervorgetreten war, blieb ihm erhalten.
Karl II. (823-877), westfränkischer König und seit 875 Kaiser, wurde bereits von seinen Zeitgenossen nicht ohne Spott mit dem Titel »der Kahle« bedacht. (Wenngleich schon dieser Beiname wenig schmeichelhaft war, kam Karl II. noch besser weg als die anderen Nachfahren und Namensvettern von Karl dem Grossen: Karl der Dicke (839–888) und Karl der Einfältige (879–929) markierten – vor allem für die Nachwelt – Verfall und Dekadenz des Geschlechts vom 9. bis zum 12. Jahrhundert.) An der negativen Einschätzung der Glatze konnte auch das Lobgedicht auf die Glatzköpfigen durch den mittelalterlichen Abt und Gelehrten Hucbald von St. Armand (840–930) nichts ändern. In 146 Versen, die alle mit dem Buchstaben c wie »calvus« (kahl) beginnen, rühmte er die natürlichen und angeborenen Führungsqualitäten von kahlen Männern als Klerikern, Königen, Kriegern und Gelehrten. Sein in der Literaturgeschichte einzigartiges Werk In lau-dem calvorum (Zum Lob der Kahlköpfe) oder auch Ecloga de Calvis (Loblied auf die Kahlköpfe) widmete er dem Erzbischof Hatto von Mainz, der eine Glatze hatte; da Hucbald der Palastschule Karls des Kahlen angehörte, ist anzunehmen, dass sein Gedicht auch bei diesem Gefallen fand.
Der überaus eitle Ludwig XIV., gleichfalls bereits in jungen Jahren unter Haarausfall leidend, etablierte hingegen die bereits unter seinem Vater Ludwig XIII. eingeführte opulente Perücke als unabdingbaren Bestandteil der europäischen Hofmode. Sie diente dazu, die als Mangel empfundene Glatze zu verdecken.
Im bürgerlichen Zeitalter vermochten die männlichen Mitglieder der Gesellschaft ihre nachlassende Haarfülle allerdings nicht mehr mit einer Perücke zu vertuschen – hatte doch die Revolution diese Mode auf dem Schafott beendet; ja selbst die politische Restauration hatte sie nicht mehr wiederzubeleben vermocht. Sich der Öffentlichkeit »naturbelassen« mit dem Sinnbild nachlassender Männlichkeit und Vitalität zu stellen, wagten indes nicht alle. Anstelle von Kunsthaar, Haarersatzteilen und Toupets suchten Männer in der Wissenschaft der Tinkturen Zuflucht, wenngleich die Heilkraft fast aller dieser Mixturen eher aus dem Glauben an ihre Wirksamkeit resultierte. Schon im Mittelalter hatten die Mediziner zahlreiche ebenso wirkungslose Mittel auf den Jahrmärkten vertrieben und sich dabei auf die Erfahrung der alten Ägypter berufen, die das tägliche Einreiben der Glatze mit dem Fett von Steinböcken und Nilpferden empfahlen. In den alpinen Gegenden Europas galt beispielsweise das Fett des Murmeltieres als haarwuchsfördernd.
Im 19. Jahrhundert begann dann die chemische Industrie mit ihren Massenprodukten über ein breit gefächertes Netz an Drogerien und Apotheken die Hausierer und lokalen Kurpfuscher als Mittelsmänner geheimnisvoller Tinkturen abzulösen. Die industrielle Fertigung sowie spezifische Werbemethoden gaben den Mittelchen den Nimbus der Wissenschaftlichkeit und die Aura des Erfolges. Inserate in billigen Massenzeitungen, die damals aufkamen, sowie das Entstehen des anonymen Versandhandels unterstützten die Verbreitung der Haarwuchsmittel, die die Kunden bevorzugt heimlich und verschämt erwarben. Das Versandwesen erlaubte aber auch, daß immer neue Rezepturen in den Handel kamen, die den Misserfolg der älteren überdeckten. Oftmals blieben die Konsistenzen der beworbenen Mittel gleich, lediglich der Produktname und der Name der Vertriebsfirma änderten sich.
Die in der Volksmeinung bestehende - und teilweise von Ärzten vertiefte -Vorstellung, dass zwischen sexueller Potenz und Haarfülle ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe, sichert den Herstellern von Haarmitteln bis heute einen stetig steigenden Kundenstamm von verunsicherten Männern. Die jüngst produzierten Mittel zur Verlangsamung des Haarausfalls werden sogar gelegentlich als »Viagra für den Kopf, damit auf Glatzen verlässlich wieder etwas aufsteht« beworben. Daneben spielen heute allerdings auch wieder ästhetische Motive eine Rolle beim männlichen Wunsch nach unbeeinträchtigter Kopfbehaarung. Die dem Ideal ewiger Jugend verfallene Gesellschaft hat mit der kosmetischen Chirurgie auch den glatzköpfigen Männern einen neuen Weg eröffnet. Ausgehend von den USA hat sich die Methode der Haarverpflanzung in den letzten beiden Jahrzehnten zu einem lukrativen Geschäftsfeld für die plastische Chirurgie entwickelt. Idole der Populärkultur wie der britische Sänger Sir Elton John fungieren dabei als lebende Werbeträger für die Sehnsüchte eitler oder verunsicherter Männer jeden Alters. Die Kosten derartiger zum Teil sehr schmerzhafter und oft nicht erfolgreicher Operationen belaufen sich auf Beträge ab 10000 Euro aufwärts. Präventiv bietet die Kosmetikindustrie daher Haarpflegeprodukte, die die »Gesundheit der Haare« sichern sollen, wie Shampoos, die mit Vitaminen angereichert sind. Der natürliche Haarausfall beim Mann wird so zum Krankheitsbild stilisiert und der Mann mit Geheimratsecken oder Glatze als krank stigmatisiert.
Selbst die Leinwandikonen der westlichen Welt bleiben angeblich von diesen Ängsten nicht verschont. So wird George Clooney, der mehrmals zum »sexiest man alive« gewählt worden ist, von bunten Blättern mit einer gewissen Schadenfreude folgender Satz in den Mund gelegt: »Ich betrachte neuerdings täglich besorgt meinen Haaransatz, um zu sehen, ob er zurückgeht.« Mit diesen einfachen »home stories« über die individuelle und gleichzeitig kollektiv geteilte Sorge um den Haaransatz schwindet zugleich die Differenz zwischen den Stars und ihren Fans. Die Angst vor der Glatze hebt die Unterschiede zwischen Arm und Reich scheinbar auf; Tratsch fungiert als systemstabilisierendes Element.
Zu den Leidensgenossen derjenigen, die im täglichen Streben nach sozialem Status und Anerkennung um ihr Haupthaar fürchten, zählt nach Berichten der Yellow Press inzwischen auch der britische Prinz William. Sein Haar könnte zum Schrecken seiner zahlreichen Verehrerinnen bereits in jungen Jahren das Schicksal der Haare seines Vaters ereilen. Lebte William in Deutschland und wäre gar Beamter, so könnte er unter Umständen Anspruch auf Finanzierung einer Perücke durch die Sozialversicherung geltend machen. Dieses Privileg geniessen in Deutschland tatsächlich nur Beamte und nicht der »normale« Sozialversicherte. Die ehemals geltende Einschränkung dieses Anspruchs auf Personen unter dreissig Jahren wurde erst unlängst vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim aufgehoben, da Kahlköpfigkeit bei jeder Altersgruppe Depressionen verursachen könne.
Paradoxerweise blüht das Geschäft mit dem verpflanzten Haar in einer Zeit, da die Haarmode Männern immer kürzere Schnitte diktiert. Dennoch fürchten sich viele junge Männer vor der »natürlichen« Glatze oder frühzeitig auftretenden Geheimratsecken. Tatsächlich belegen die Statistiken, dass in Europa fast jeder dritte Mann unter dreissig Jahren unter Haarausfall leidet; in Deutschland allein sind schätzungsweise 12 Millionen Menschen davon betroffen. In Europa bekommen zirka achtzig Prozent der Männer im Verlauf ihres Lebens eine Glatze, während der vergleichbare statistische Wert bei Afrikanern nur fünfundzwanzig Prozent, bei Asiaten sogar nur fünfzehn Prozent beträgt.
Doch auch Frauen können unter Haarausfall leiden. Bereits im Alter von zwanzig Jahren ist bei fünf bis zehn Prozent der Frauen deutlicher Haarausfall entlang des Scheitels festzustellen. In den Wechseljahren sind zwanzig Prozent betroffen. Viel häufiger als bei Männern ist Haarausfall bei Frauen ein deutlicher Hinweis auf negative Umwelteinflüsse. Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ist der »matchgirl strike«, der 1899 im britischen Streichholzwerk Bryand & May geführt wurde. Die Haut der Arbeiterinnen, die bei der Herstellung von Zündhölzern mit Phosphor in Kontakt kam, wurde gelb, viele Arbeiterinnen erkrankten an Knochenkrebs, vor allem aber verloren fast alle Frauen bereits nach kurzer Zeit ihre Kopfhaare. Die Scham über die Kahlköpfigkeit verstärkte die Verzweiflung über das ihnen Widerfahrene. Ganz offensichtlich wurde die aussergewöhnliche Beeinträchtigung ihrer Gesundheit ausschliesslich durch die Arbeitsbedingungen in der Fabrik verursacht. Die Wut und das Schamgefühl der Frauen mündeten in einem landesweit beachteten Streik, dessen Erfolg zur Ausbreitung von Gewerkschaften in Grossbritannien beitrug.
Verschämt nehmen die meisten Frauen die Folgen der Chemotherapie auf sich und verstecken ihren von der Strahlentherapie verursachten Haarausfall unter Perücken und Kopftüchern. Die britische Nordirland-Ministerin Mo Mowlam wollte hingegen offen mit den Konsequenzen ihrer Krankheit sowie den schmerzhaften Therapiefolgen umgehen und verzichtete bei einzelnen öffentlichen Auftritten bewusst auf das schlecht sitzende und billige Kunsthaar, das ihr wie jeder anderen Frau von der Krankenkasse angeboten worden war. Vor völlig verblüfften Journalisten, die das reservierte und distanzierte Verhalten britischer Politiker gewohnt sind, zog Mo Mowlam bei Pressekonferenzen die Perücke vom Kopf und legte sie auf den Tisch. Das Zeichen ihrer Verwundbarkeit wurde zur Waffe. »Es ist extrem schwierig, mit einer glatzköpfigen Lady rauh zu sein«, klagte ein hartgesottener Nordirland-Politiker. Im Unterschied zu Wählerinnen, die diesen stolzen Umgang mit der Glatze wohlwollend zur Kenntnis nahmen, sahen die konservativen Vertreter des »old-boys-network«, das auch in die Labour Party hineinwirkte, darin einen Bruch der Etikette und arbeiteten angestrengt an der Ablösung der erfolgreichen Ministerin. Anstatt zu höheren Ehren kam Englands beliebteste Politikerin in die Rente.
Mowlams ästhetische Grenzüberschreitung wurde als Schicksalsbewältigung toleriert. Offener Anfeindung setzen sich aber die meisten Frauen aus, die sich ohne medizinischen Zwang kahlscheren lassen. Liz Taylor erfuhr als Patientin Mitleid, die irische Sängerin Sinead O'Connor rückte sich dadurch an die Peripherie der Populärkultur – dass sie dennoch Berühmtheit erlangte, geschah eher trotz der Skinhead-Glatze und nicht etwa wegen ihr. Behaftet mit dem Stigma des sexuellen Abweichlertums und klassifiziert als Radikalfeministinnen, werden glatzköpfige Frauen in die Tradition von Vorurteilen gestellt, die ehedem vorrangig rothaarigen Frauen galten. Die Bedrohung und der Reiz, den diese Frauen auf Männer ausüben, lässt sich zum Beispiel an Grace Jones erkennen, deren Glatze sie cineastisch zur ultimativen Kampfmaschine macht. Eine ähnliche Funktion erfüllt Sigourney Weaver in der Alien-Trilogie. Sie vermännlicht von Folge zu Folge; äusserlich zeigt sich dies an den immer kürzeren Haarschnitten bis hin zur Stoppelglatze. In der dritten Folge schliesslich ist sie nicht mehr als Frau oder Mann erkennbar – ein androgynes Wesen.
Insbesondere Männer, die im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, versuchen ihren als Mangel empfundenen Haarschwund mit allen möglichen, zum Teil auch lächerlich wirkenden Hilfsmitteln zu verbergen. Die in den siebziger Jahren ausgestrahlte US-Fernsehserie Einsatz in Manhattan brach durch die von Telly Savalas dar-gestellte Rolle des Detektivs Kojak erstmals mit dem negativen Klischee des Glatzköpfigen als Piraten, kriminellen Bösewichts, Nazi oder Psychopathen, wie es durch die Figur des Dr. Who oder des Goldfinger in James Bond verkörpert worden war.
Zwar gehört die Gleichsetzung des Glatzköpfigen mit dem Ab-normalen und Bösen bis heute zu den Sterotypen der Filmindustrie, — jedoch gibt es seit einiger Zeit auch sympathische Glatzköpfe wie die Figur des Captain Picard in der Science-Fiction-Serie Star Trek.
Telly Savalas' Entscheidung zur Kahlköpfigkeit stand in unmittelbaren Zusammenhang mit der negativen Stereotypisierung. Er hatte sich 1965 für die Rolle des Pontius Pilatus in Die größte Geschichte aller Zeiten kahl rasieren lassen müssen. Seine Rolle bezeichnete er später als »grässlichen Fehlschlag«, doch sein Aussehen auf dem Bildschirm gefiel ihm und wurde fortan zu seinem Markenzeichen — inmitten von Schauspielern mit vollem und gesundem Haar. In den darauffolgenden Jahren wurde er zur Ikone eines neuen Bildes von Männlichkeit und erlangte eine Popularität, die seine Bedeutung als Schauspieler bei weitem übertraf. Savalas war der erfolgreichste Propagandist dafür, dass Potenz und Haarfülle in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen müssen. Allerdings hat konträr zu dem damit widerlegten Vorurteil schon immer auch die Auffassung existiert, wonach Glatzköpfigkeit die erotische Anziehungskraft verstärkt.
Dennoch bildeten Savalas und Yul Brynner Ausnahmeerscheinungen im allseits erstrebenswerten Männlichkeitsbild, wie es Hollywood bevorzugt inszenierte. Brynner, mit der Rolle des kahlköpfigen Königs von Siam im Film The King and I zu internationalem Ruhm aufgestiegen, blieb fortan auf sein Aussehen in dieser Rolle festgelegt, ob er nun einen despotischen ägyptischen Pharao oder einen schiesswütigen Westernhelden verkörperte. Seine Glatze unterstrich seine exotische Abstammung als Kind russisch-mongolisch-schweizerischer Eltern.
Dem Beispiel von Savalas und Brynner folgten daher in den nächsten Jahrzehnten nur wenige Schauspieler mit internationalem Bekanntheitsgrad. Sogar Sean Connery hatte sich den eisernen Regeln der amerikanischen Traumfabrik zu unterwerfen und ein Toupet zu tragen, als sein natürliches Haar auf einen Haarkranz zusammengeschmolzen war. James Bond durfte nicht erkahlen, er musste sich von seinen zahlreichen Gegnern wie dem dicken Glatzkopf Goldfinger klar unterscheiden.
Der Traditionalismus der Filmindustrie mit ihrer Illusion von ewiger Jugend und Vitalität wurde von einer anderen Seite her durchbrochen – von den Sportlern. Bei ihnen symbolisiert die Glatze nämlich Aggressivität und körperliche Durchsetzungskraft. Trendsetter der Glatzköpfigkeit waren nicht allein Boxer wie George Foreman, sondern vor allem die vor einem Millionenpublikum agierenden Fussballspieler. Der englische Fussballer David Beckham inszenierte sich im Verlauf seiner Karriere bewusst mehrmals sehr unterschiedlich und erfand sich jedes Mal neu. Den Schritt hin zur Glatze tat er nach einer Phase, in der er insbesondere als Schöngeist und Kulturinteressierter wahrgenommen werden wollte, was ihn mit der Aura der Homosexualität umgab und in Widerspruch zur Rauhbeinigkeit des englischen Fussballs und seiner proletarischen Fans brachte. Kahlköpfig stellte er sich auf eine Stufe mit den Zu-schauern, deren Männlichkeit nicht bezweifelt wurde. Um sich jedoch gleichzeitig von diesen Männern abzuheben, vergass seine PR-Maschinerie nie, darauf hinzuweisen, dass der rasch zur Mode gewordene »Beckham-Schnitt« 330 Euro gekostet habe. In den meisten englischen Friseurläden kostet er 10 Euro. Durch diese Elitisierung entzog sich Beckham geschickt der Vereinnahmung durch Skinheads. Dem Bayern-München-Spieler Carsten Jancker gelang diese Distanzierung nur mit Mühe. Sein auf Seriosität bedachter Verein unternahm grosse Anstrengungen, Janckers Glatze zu entpolitisieren. Der Ausweg bestand in der Erotisierung der Person. Gelegenheit dafür bot die WM in Japan. Zeitungsbilder mit der wenig zweideutigen Unterschrift »Ist alles so glatt und gross an ihm? « trugen zu dieser gewünschten Verschiebung des Bildes in der Öffentlichkeit bei.
Hollywood formuliert nicht erst seit Ronald Reagan auch in der Politik die Spielregeln für Erfolg und Misserfolg beim medialen Auftreten. Das sukzessive Aufbrechen der Grenzen zwischen den politischen Lagern geht damit einher, dass Styling an die Stelle von Inhalten gesetzt wird und die Inszenierung von Einzelpersonen im Mittelpunkt steht. Es geht nicht mehr um die Frage nach legitimen politischen Interessen, sondern darum, wer am besten Gefühle zu manipulieren weiss. Besonders in Grossbritannien und in Spanien ist, zumindest nach der Analyse von Politikberatern und Meinungs forschern, volles Haar Grundpfeiler für die Zustimmung beim Wahlvolk, vor allem bei den Wählerinnen. Aber auch im arabischen Raum gilt noch immer die Gleichsetzung von Männlichkeit und vollem Haupthaar. Dies ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass sich der ergrauende Palästinenserführer Arafat nie ohne sein charakteristisches Tuch ablichten ließ.
Ausnahmen bestätigen freilich die Regel, deren Gültigkeit auch in anderen westlichen Demokratien nachgezeichnet werden kann. So gelang es dem kahlköpfigen SPD-Politiker Walter Momper, in das Amt des Oberbürgermeisters von Berlin gewählt zu werden, und auch der PDS-Repräsentant Gregor Gysi reüssierte in Berlin nicht allein durch seine markante Rhetorik, sondern sicher auch aufgrund seines unorthodoxen glatzköpfigen Aussehens. Der ehemalige US-Navy-Seal-Soldat und Profi-Catcher Jesse Ventura, der einst den Beinamen »The Body« trug, gelangte als unabhängiger Kandidat im US-Bundesstaat Minnesota in das Amt des Gouverneurs. Auch der charismatische niederländische Parteigründer Pim Fortuyn fiel durch sein Styling auf, bei dem die Glatze ein markantes Zeichen war. Fortuyn liess sich seine Glatze jeden Morgen von seinem Leibfriseur glätten, wie er den Medien bereitwillig Auskunft gab. (Er ist damit in seiner öffentlichen Präsentation einen Schritt weiter gegangen als der Verkleidungskünstler Jörg Haider, der durch die ständige Veränderung seines Aussehens der Inszenierung von Politik in Österreich eine neue Qualität verliehen hat. Freilich wäre mit einer Glatze für Haider, der auf Jugendlichkeit setzt, ein gewisser Endpunkt erreicht. Das Auftauchen von grauen Haaren übertüncht er jedenfalls noch recht geschickt.) Eine inzwischen lang anhaltende politische Karriere ist hingegen dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi vergönnt, der einen sehr hohen Scheitel trägt.
Heftiger wurde hingegen in Deutschland über eine Äusserung des Grünen-Politikers Jürgen Trittin diskutiert. Dieser hatte in Anspielung auf das mangelnde Haupthaar des CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer gemeint, Meyer sehe nicht nur wie ein Skinhead aus, sondern habe auch eine solche Mentalität. Trittin bezog sich auf Meyers Aussage, er sei stolz, ein Deutscher zu sein. Es begann eine Rücktrittsdiskussion, die Trittin in seinem Amt aussass.
Der Brite Ian Duncan Smith sah sich hingegen in der Öffentlichkeit weniger wegen seiner politischen Positionen kritisiert als vielmehr nur ob seiner Glatze. »A bald man can never again lead the Conservative Party«, hatte der Guardian lakonisch bemerkt. Englische Chronisten vertieften diese Aussage, indem sie dar-auf hinwiesen, dass seit Winston Churchill kein glatzköpfiger Kandidat in das Amt des Premiers gelangt sei. Churchill hatte seinen Einzug in Downing Street damals dem Sieg über den gleichfalls haarlosen Labour-Politiker Clement Anke zu verdanken. Alan Watkins, Kolumnist der britischen Tageszeitung The Independent, vertrat die Meinung, dass britische Wähler im Zweifelsfalle immer den »gelockten« Kandidaten als den attraktiveren bevorzugen würden. Ähnlich Smith sah sich auch ein anderer hoffnungsfroher Kandidat um den Parteivorsitz der britischen Konservativen, William Hague, in seinen Bemühungen um dieses Amt der Ablehnung ausgesetzt, die Kahlköpfigen auf der Insel entgegenschlägt. Aber nicht nur die Wähler in Grossbritannien reagieren verhalten auf die Kahlköpfigkeit von Kandidaten. Wahlforscher sahen in Joaquin Almunis schütterem Haarwuchs mit einen Grund seiner Niederlage gegenüber dem konservativen Jose Maria Aznar bei den spanischen Wahlen. Aus einer Umfrage meinte man ablesen zu können, dass die Spanier einen Politiker mit einer dichten Haarpracht nicht nur für attraktiver, sondern auch für fähiger, intelligenter, dynamischer und vertrauenswürdiger halten als einen Kandidaten mit schütterem Haupt.
Umfragen in den USA zeigen ein ähnliches Bild. Politiker dürfen weder Glatze noch Bart aufweisen. Diesem Diktat unterwarfen sich (fast) alle der 17 amerikanischen Präsidenten des 20. Jahrhunderts. Seit dem letzten Schnurrbartträger, William H. Taft, blicken uns in ununterbrochener Reihe 15 Männer ohne Bart an. Das »Glatzen-Verbot« ist nur durch Eisenhower, einen ehemaligen General, in den fünfziger Jahren gebrochen worden. Während fünfzig Prozent aller US-Männer im Alter der Politiker bereits eine deutlich reduzierte Haarfülle aufweisen, sind es im Kreis der Politiker selbst lediglich achtundzwanzig Prozent, zumindest wenn man ihren offiziellen Bildern Glauben schenkt.
Vollkommen anderen Anforderungen scheint die Haarmode der Politiker in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten zu unter-liegen. Seit 1917 folgte in der UdSSR auf einen Staatschef mit vollem Haarwuchs stets ein glatzköpfiger Politiker. Erst Wladimir Putin unterbrach diese Abfolge.
Sein Erscheinungsbild entspricht allerdings in fast keinem Punkt dem Wunschbild eines Kandidaten. Laut einer Umfrage der Zeitung Argumenty i Fakty sollte der ideale Kandidat weder eine Glatze wie Lenin oder Chruschtschow noch einen Schnurrbart wie Stalin haben. Ein Vollbart nach dem Vorbild von Marx und Engels sei auch nicht gefragt, ebensowenig Kleinwuchs und Rundlichkeit wie bei Gorbatschow; dunkler Teint ä la Breschnew sei ebenfalls pass. Stattlichkeit, vornehme Blässe, Glattrasur, dezente Kleidung, spärliche Gestik, prägnanter Redestil – so lautet vielmehr das neue Idealbild eines russischen Politikers. Unbekümmert von diesen Überlegungen regiert seit 1994 der frühere Kolchosenfunktionär Alexander Lukaschenko Weissrussland mit eiserner Hand. Schnauzbärtig und die Glatze mit Haarresten überscheitelnd, setzt er die Massstäbe. Wahre Macht bestimmt die Ästhetik selbst.